Bocholt. Am Dienstag, 8. November 2022, konnte er endlich wieder stattfinden, der traditionelle Martinszug. Ganz vorne an St. Martin hoch zu Pferd. Und man spürte seine Freude, wenngleich man das Lächeln hinter seinem weißen Bart nur erahnen konnte. Die Pandemie hatte Johann Biermann als heiligen Mann arbeitslos gemacht. In diesem Jahr aber konnte er seinen Job endlich wieder ausführen. Rund 3.000 Mädchen und Jungen hatte der Bocholter im Schlepptau.
Rund 3.000 Kinder folgen dem heiligen St. Martin mit ihren bunten Laternen durch die Innenstadt. Der Zug setzte sich um 17.15 Uhr ab Berliner Platz in Bewegung. Von hier aus ging es durch die Innenstadt. Überall an den Seiten säumten Zuschauer den Weg, darunter auch viele Eltern.
Ein kulturelles Highlight seit 1910
Seit 1910 dürfen sich die Bocholter an diesem Umzug erfreuen, den der Verein für Heimatpflege ausrichtet. Der Bocholter Martinszug ist der älteste Westfalens und damit ein ganz besonderes kulturelles Ereignis. Dass dieser in der Pandemie nicht stattfinden konnte, hat vor allem die Kinder traurig gemacht. Aber auch Johann Biermann tat dies leid. Er reitet alljährlich als St. Martin voraus.
Wieder einmal war der Bocholter Martinszug ein wunderbarer Auftakt in die stimmungsvolle Zeit. Denn es sind nur noch wenige Tagen, dann darf die erste Kerze auf dem Adventskranz angezündet werden.
11. November einst bedeutungsvoller Stichtag
Das Gedächtnisfest des Hl. Martin am 11. November wurde im Mittelalter und in der frühen Neuzeit zu einem wirtschaftlich bedeutungsvollen Stichtag. Am Martinstag mussten die Erntearbeiten beendet sein, an ihm wechselte das Dienstpersonal seinen Herrn und erhielt seinen Jahreslohn. Am Martinstag wurden die Pachten und Steuern, wurden die Rechnungen von Kaufleuten und Handwerkern bezahlt.
Der letzte Tag der Fastenzeit
Der Martinstag war der letzte Feiertag vor der vierzig Tage dauernden vorweihnachtlichen Fastenzeit. In Bocholt ist die Verehrung des Hl. Martin seit Jahrhunderten ein Bestandteil des alljährlichen Festkreises. Der Brauch des Gabenheischens, zunächst durch Studenten und nach dem Dreißigjährigen Krieg durch Kinder und Arme, entstand.
Sünte Martins Vöggelken
In dem plattdeutschen Lied Sünte Martins Vöggelken wird das Gabenheischen angesprochen. Weil das Gabenheischen der Kinder am Martinsabend zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend in Belästigungen und Betteleien ausartete, wurde in Bocholt vom Verein für Heimatpflege erstmals im Jahre 1910 ein gemeinsamer geregelter Umzug ausgerichtet. Entsprechend der Tradition werden seitdem viele ausgehöhlte und mühevoll mit kunstreichen Schnitzereien versehene Runkelrüben, aus denen der weiche Schein einer Kerze leuchtet, gezeigt.
Bischof Martin reitet voran
Dem Martinszug reitet seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts der Bischof Martin voran; es wird nicht wie im Rheinland der Soldat Martin vorangestellt. Vielleicht ist Martin als Bischof herausgestellt worden, weil das furchtbare Erlebnis des Ersten Weltkrieges den Wunsch nach einem mildtätigen, sorgenden Vorbild verstärkte.
Eine großer und mehrere kleine Umzüge
Nach der Gebietsreform 1975 wurde der große Innenstadt-Martinszug der alten Stadt Bocholt beibehalten. In den zu Bocholt gekommenen umliegenden Gemeinden wurde die dort entstandene Tradition der Martinsumzüge ebenfalls in der bisherigen Weise fortgeführt. Zu den insgesamt elf Martinsumzügen in Bocholt kommen noch viele kleinere Umzüge einzelner Kindergärten hinzu, sodass in den Tagen um den 11. November überall die alten Martinslieder ertönen, Martinslichter gezeigt werden.