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Montag, September 16, 2024
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Erlebnisbericht: Wenn die letzte Reise um die Welt geht

Bocholt/Tolkamer. Dass es eine Seebestattung gibt, ist vielen Menschen bekannt. Aber eine Ballonbestattung? Eines vorweg: Mit einer Ballonfahrt hat diese nichts zu tun. Stattdessen bahnen sich zwei große Helium-Luftballons mit der Asche des Verstorbenen ihren Weg gen Himmel. Diese loszulassen und ihnen nachzuschauen ist für Angehörige ein nahezu unbeschreiblich emotionaler Moment. Anlässlich Allerheiligen ein ganz persönlicher Erlebnisbericht von Gabi Frentzen.

Der etwas andere Familienausflug

Freitag, 15.10 Uhr. Emmerich liegt schon hinter uns. Unser Ziel heißt Tolkamer kurz hinter der Grenze in den benachbarten Niederlanden. Zur Info: In Deutschland ist die Ballonbestattung nicht erlaubt. Dort, genauer gesagt in Lobith, befindet sich das Erholungsgebiet De Bijland. Auf dem Parkplatz, nah am Wasser gelegen, erwartet uns das Team vom beauftragten Bestattungshaus. Für 16 Uhr haben wir eine Ballonbestattung gebucht. Wie das klingt? Als habe man ein Gruppenticket für einen Familienausflug gezogen. Aber irgendwie ist an diesem Tag auch alles wie ein Familienausflug. Nur dass ein Mensch, der in unserem Leben diesen ganz besonderen Platz hatte, nicht mehr mit uns zurückfährt. Vielleicht aber ist dieser Mensch eher wieder zuhause als wir? Nicht zu verstehen? Nun, dazu ist es an dieser Stelle meines Berichts wohl einfach noch zu früh.

„Für mich keine Akkafittkes“

Zurück ins Beratungsgespräch gut zwei Wochen zuvor. Was wir wussten: Der geliebte Mensch wollte keine Erdbestattung. Wie hat Vater immer zu uns Kindern gesagt: „Wenn es mal soweit ist, dann möchte ich nicht im Sarg in dieses dunkle Loch. Ich möchte verbrannt werden. Fertig. Und keine Akkafittkes.“ Will heißen: Es sollte auf viel Tamm-Tamm und Drumherum verzichtet werden.

Gibt es einen schönen Moment des Abschieds?

Wenn man nun aber dem Bestatter gegenübersitzt, keine offizielle Vorsorgevereinbarung zuvor getroffen wurde, dann betrachtet man Aussagen wie diese aus einem ganz anderen Blickwinkel. Wie genau muss man denn Tamm-Tamm definieren? Uns stellte sich eigentlich nur eine Frage: Wie können wir diesen Menschen so verabschieden, dass ein gutes Gefühl bleibt. Dieses Gefühl, das einem ein bisschen den Schmerz der Trauer nimmt. Wir wünschten uns einen, ja, schönen Moment. Nun reden wir aber über eine Bestattung. Wie also sollte das gehen? Die Entscheidung fiel auf Ballonbestattung.

Die rote Rose geht mit gen Himmel

Freitag, 15.40 Uhr. Natürlich hatten wir uns im Vorfeld Fotos einer Ballonbestattung angesehen. Als das Team vom Bestattungshaus dann aber mit diesen zwei großen, weißen Ballons auf uns zukommt und uns die Bänder überreicht, sind wir – ich kann es wirklich nur umgangssprachlich beschreiben – geflasht. Zwei unserer Empfindung nach riesengroße Ballons, die ins sich die Asche des Vaters trag. Die Mutter hält plötzlich eine rote Rose in der Hand hielt und fragt, ob sie die noch an eines der Bänder befestigen kann. Es ist dieser Augenblick, in dem einem unweigerlich die Tränen in die Augen steigen. Und es sind nicht nur Tränen der Trauer. Da ist dieses verrückte Gefühl im Herzen, dass man etwas tut, das wahnsinnig traurig und zugleich einfach unglaublich schön ist.

Das Herz voller Trauer und auch Freude

Freitag, 16 Uhr. Wir stehen am Wasser. Es sieht ein wenig nach Regen aus. Doch für uns bleibt es trocken. Viele Wolken stehen am Himmel. Fast schon wie ein Empfangskommando. Dann ist der Zeitpunkt da. Wir müssen die Ballons loslassen. Und das ist ein komisches Gefühl. Es ist, als löse sich die Hand des Vaters aus der eigenen. Dieser Moment des Loslassen geht mit Herzschmerz einher. Doch je höher die Ballons steigen, je mehr Platz wird in unseren Herzen für Freude frei. Man schaut den Ballons hinterher und freut sich einfach, dass man dem geliebten Menschen noch einen Wunsch erfüllen kann. So oft im Leben hatte er von einer Ballonfahrt gesprochen. Einmal in die Höhe gehen und sich die Welt von oben ansehen. Und doch bleibt die Frage: Wäre die Ballonbestattung für ihn ein Akkafittken gewesen? Wir wissen es nicht. Auf die Frage werden wir auch nie eine Antwort bekommen. Belassen wir es einfach bei unserem Bauchgefühl. Und das sagt: Genau richtig entschieden. Denn mit den Ballons hat ihm seine Familie Anerkennung, Wertschätzung und Respekt mit gen Himmel geschickt.

Man möchte die Hände hochreißen

Fast zehn Minuten stehen wir so da. Blicken in den Himmel. Die Ballons werden immer kleiner. Und eigentlich möchte man die Hände hochreißen und sie wieder vom Himmel holen. Weil man weiß, dass sie gleich verschwinden. Dass wir sie nicht mehr sehen werden. Dass Paps gegangen ist.

Vielleicht ist Paps eher zuhause als wir

Auf der Rückfahrt ist diese Freude unser Begleiter. Dass diese Minuten des Abschieds einfach so unbeschreiblich schön waren, auch wenn sie wehtaten. Wir wissen nicht, wann genau die Ballons dem Druck nicht mehr standhalten werden. Ob sie die Asche des Vaters auf der deutschen oder niederländischen Seite der Grenze freigeben werden. Es ist aber auch unwichtig. Egal, wo wir sind – immer dann, wenn wir den Blick in den Himmel werfen, ist Paps da. Er reist aber nicht nur um die Welt. Er ist auch zuhause. Im Garten. Dort, wo er immer so gerne gesessen hat. Ich kann nicht anders. Ich gehe auf die Terrasse und mein Finger geht über die Lehne seines Gartenstuhl. Wonach suche ich? Nach Asche?

Ja. Wahrscheinlich war Paps an jenem Freitag sogar eher zuhause als wir.

Die letzte Reise geht um die Welt. ©Bestattungshaus Wroblowski
Gabi Frentzen
Gabi Frentzen
Gabi Frentzen alias Bocholter Reporterin